Ausgebrannt Das Psychogramm des mutmasslichen Brandstifters Michael B. Michael B. sitzt still da, zwischen den Freunden der freiwilligen Feuerwehr. Es ist Sonntag, der 9. Jaenner, und im Gasthaus Kuckucksnest geht es hoch her. Der Brandstifter hat den kleinen Ort St. Georgen an der Gusen laengst in den Ausnahmezustand versetzt. Weil mittlerweile jeder jeden verdaechtigt, herrscht auch hier, am Stammtisch der Feuerwehr, Alibi-Stunde. Einer erklaert dem anderen wortreich, warum er am Dreikoenigstag, dem Tag des zu diesem Zeitpunkt letzten Anschlags, nicht der Taeter gewesen sein koenne. Nur einer schweigt. Michael B. Ab und zu lacht der schuechterne 16-Jaehrige laut auf, dann wieder umklammert er die Cola-Flasche am Tisch vor sich. Erst als der NEWS-Reporter ihn persoenlich anspricht, kann der Elektrotechniklehrling nicht mehr umhin, seine Meinung zu der mysterioesen Brandserie kundzutun. "Wenn ich diesen Feuerteufel erwischen taet", sagt er und blickt in die Runde, "dann wuerd ich ihm eine reinhaun." Die Freunde nicken, also setzt Michael B. nach: "Denn was willst mit so einem Menschen sonst machen, der kann ja nicht normal sein …" Jetzt ist der juengste Feuerwehrmann des Ortes in seinem Element. Er erzaehlt, wie er beim Loeschen der Braende stets an vorderster Front mitgeholfen hat und dass er immer schon davon getraeumt hatte, einmal Feuerwehrmann zu werden. Als Michael B. kurz auf die Toilette geht, wo er "Wasser marsch" zu sagen pflegt, erzaehlen die Feuerwehrkollegen, dass ihr junger Kollege, dessen Mutter Alleinerzieherin ist, auf der Suche nach Anerkennung eben die Feuerwehr als Ersatzfamilie auserkoren habe. "Aber was soll’s, er ist sehr nett und ueberaus engagiert." Zwei Tage spaeter, am fruehen Morgen des 11. Jaenner, brennt es wieder in St. Georgen. Diesmal ist es Michael B. selbst, der die Feuerwehr alarmiert. "Hier spricht der Michael B.", schreit er in sein Handy, "bei uns im Haus brennt’s." Kaum ist der Brand im Gasthaus "Marktstuben", das Michaels Mutter fuehrt, geloescht, wird der Lehrling festgenommen. Er gesteht, zwoelf der insgesamt dreizehn Braende in St. Georgen selbst gelegt zu haben. Der erste Verdacht. Den ersten Brand entfachte Michael B. am 26. Februar 1999, nur wenige Tage, nachdem er von der Jugendgruppe in die aktive Truppe der oertlichen Feuerwehr uebernommen wurde. "Er hat sich praktisch sein eigenes Einstandsgeschenk gemacht", glaubt Erhard Wansch, der Kommandant der St. Georgener Feuerwehr, heute. Bis zum Dienstag dieser Woche kam es zu zwoelf weiteren Anschlaegen. Dass Michael B. zuletzt gar im eigenen Haus zuendelte, wertet die Polizei als "Hilfeschrei". "Er wollte wohl selbst, dass das alles ein Ende nimmt", sagt ein Beamter . In den ersten Einvernahmen gibt Michael B., zu seinem Motiv befragt, zu Protokoll, dass "nie jemand fuer mich Zeit hatte". Er sagt: "Keiner hat mir zugehoert. Keiner hat mich gemocht." Und fuegt spaeter hinzu: "Meine Mutter wollte das Gasthaus verkaufen und mit ihrem neuen Freund nach Amerika. Und das wollte ich verhindern." Waehrend sich die Exekutive am Dienstag dieser Woche noch selbst feierte - so begab sich sogar der neue Generaldirektor fuer die oeffentliche Sicherheit, Erik Buxbaum, zur Pressekonferenz in den Ort, um seine Ermittler zu loben -, wurde immer staerker deutlich, dass die Fahndung nach dem Brandstifter in Wirklichkeit eine Serie von Pannen, Ignoranz und Unvermoegen war. Darauf freilich wollte die versammelte Polizeiprominenz des Innenministeriums nicht eingehen. Erik Buxbaum: "Die Ergreifung des Taeters ist nur auf die perfekte Arbeit der Polizei zurueckzufuehren. Wir haben den Taeter so lange eingekreist, bis er nicht mehr auskonnte …" Eine Sicht der Dinge, die so nicht ganz stimmt. Faktum ist zwar: Die Ueberwachung im Ort war tatsaechlich so engmaschig, dass Michael B. zuletzt einzig und allein in seinem eigenen Haus Feuer legen konnte, ohne sofort von einer der vielen Streifen gestellt zu werden. Der Fahndungsskandal. Faktum ist aber auch - und dies ist ganz besonders peinlich fuer das Innenministerium, das zuletzt die Ermittlungen fuehrte: Die Brandserie haette bereits im November geklaert werden koennen, haette die Polizei nicht geschlampt. - Denn schon am 17. November 1999, an diesem Tag war es zum fuenften Mal zu einem Brandanschlag gekommen, deponierte ein Feuerwehrmann des Ortes eine Sachverhaltsdarstellung bei der Gendarmerie, in der er einen seiner Kollegen mit zahlreichen Indizien schwer beschuldigte: Michael B. Ende Dezember folgte die zweite noch viel detailliertere Sachverhaltsdarstellung an die ermittelnden Beamten. Doch wieder geschah nichts: Michael B. konnte somit die Brandserie unbehelligt fortsetzen. Insgesamt haetten also sieben Braende verhindert werden koennen, waeren die Beamten den Hinweisen konsequenter nachgegangen. NEWS dokumentiert die Chronologie des Skandals. - Der erste Hinweis. Es war in den fruehen Morgenstunden des 17. November 1999. Kurz nachdem der Feuerwehrhauptmann Erhard Wansch nach dem Brand im Bauernhaus Schoen "Brand aus" gegeben hatte, setzten unter den Feuerwehrmaennern wieder heftige Diskussionen ueber den Taeter ein. Schon damals war vielen der aelteren Kameraden klar: "Es muss einer von uns sein …" Doch der Verdacht hielt nur kurz. Erhard Wansch war es, der die folgenschwere Devise ausgab: "Wir sind nicht hier, um zu verdaechtigen, sondern um zu loeschen!" Doch einem der Feuerwehrmaenner liess der Verdacht keine Ruhe. Der Mann, dessen Dokumente NEWS vorliegen, im Interview: "Ich habe mir ueberlegt, wer von uns als Erster am Brandort war, wer als Erster bei der Feuerwehr war. Und vor allem: wer sich am Brandort am meisten engagierte. Der Einzige, auf den all diese Dinge zutrafen, war Michael B." Noch am Nachmittag desselben Tages informiert der Mann die ermittelnden Beamten. Doch die tun die Aussage als "Vernaderung" ab. Die Privatermittler. Doch der Mann informiert seinen besten Freund, der ebenfalls bei der Feuerwehr taetig ist. Gemeinsam beginnen sie Michael B. zu observieren, und sie gehen auch chronologisch alle bisherigen Anschlaege durch. Ihre Motivation: "Wir wollten zuerst Beweise sammeln, bevor wir wieder zur Polizei gehen." - Zum ersten Mal brennt es direkt in St. Georgen am 26. Februar 1999. Um 23.27 Uhr wird die Feuerwehr alarmiert, dass in der Sandgasse im ehemaligen Gasthof Eggertsberger ein Feuer ausgebrochen sei. Nur wenige Tage vorher ist Michael B., der seit seinem 12. Lebensjahr in der Jugendgruppe der oertlichen Feuerwehr taetig gewesen war, in die aktive Truppe uebernommen worden. Fuer Michael B., den alle nur "Mike" riefen, ist damit ein Traum in Erfuellung gegangen. Schon sein Grossvater und sein Urgrossvater waren Kommandanten der Ortsfeuerwehr gewesen. Sein Einstieg beeindruckte selbst lang gediente Kameraden. "Mike war der wohl am besten ausgeruestete Feuerwehrmann des Ortes. Er hatte sich selbst zusaetzliche Lampen sowie feuerfeste Handschuhe gekauft. Er sah aus wie die Feuerwehrleute aus Hollywoodfilmen." Und genauso verhielt sich Michael B. auch an den Brandorten. Das private Taeterprofil. Die beiden Privatermittler schliessen aus dem zeitlichen Zusammenfall von Einstieg und erstem Brand, dass nur Michael B. als Taeter in Frage kommen kann. Auch Erhard Wansch geht zu diesem Zeitpunkt davon aus, dass der Brandstifter wohl aus den eigenen Reihen kommen duerfte: "Denn die Erfahrung zeigt, dass Serientaeter zu einem sehr hohen Prozentsatz selbst Feuerwehrleute sind und zumeist erst kurz mit dabei sind." - Um sich auch wissenschaftlich abzusichern, kaufen die beiden Freunde ein Standardwerk ueber Taeterprofile. Und zwar das "Handbuch fuer den kriminellen Polizeidienst" aus dem Jahre 1935. Dort ist auf ueber 40 Seiten akribisch das Profil von Pyromanen festgehalten. Chronologisch gehen nunmehr die beiden Freunde bei ihrer Privatermittlung vor: "Wir wussten, dass Brandstifter aus Geltungssucht agieren. Oft spaetpubertaere sowie persoenliche Probleme haben. Von Kindheit an Kontakt zur Feuerwehr haben und diese die Familie fuer sie ersetzt. Ausserdem, so stand es in dem Buch, sind Feuerteufel dann an den Brandorten oft besonders tatendurstig. Und: Feuerteufel waehlen meist Objekte aus, die sie gut kennen." All diese Punkte hielten die beiden Maenner auf einer Tafel fest und durchleuteten einen Brand-Fall nach dem anderen. - Die Indizienkette. Besonders verdaechtig machte sich Michael B. beim dritten grossen Brand in St. Georgen Mitte November. Kurz nach 1 Uhr frueh war Alarm gegeben worden. Einer der beiden Freunde war zwei Minuten spaeter in der Feuerwehreinsatzzentrale. Bereits dort anwesend: Michael B. "Er war voll adjustiert. Helm, Schuhe, alles tipp topp. Da wusste ich, das kann nicht mit rechten Dingen zugegangen sein." Tatsaechlich haette Michael B. fuer die Fahrt von seiner Wohnung mindestens drei Minuten gebraucht. Dann weitere fuenf Minuten, um sich in seine Uniform zu werfen. Auch ein eigens gefertigtes Zeit-Weg Diagramm ergab dieses Ergebnis. - Das Alibi. Wenige Wochen spaeter, am 18. Dezember 1999, brannte es zum ersten Mal bei der sogenannten "Heindl-Muehle". Und wieder machte sich Michael B. verdaechtig. Einer der Privatdetektive: "Wir sassen gemeinsam im Feuerwehrauto und fanden auf dem weitlaeufigen Gelaende den Brandort nicht. Da stand Michael auf, zeigte uns den Weg und sagte uns, wo es brennt." Am Brandort dann der naechste verdaechtige Vorfall. Zur Spurensicherung wird eine Hundestaffel angefordert. Als diese an der "Heindl-Muehle" eintrifft, verschwindet Michael B. ploetzlich. "Es war eigenartig, sonst war Michael immer an vorderster Front mit dabei, aber als er die Hunde sah, verschwand er." Eine Stunde spaeter treffen die Feuerwehrmaenner Michael im Cafe Kuckucksnest wieder. "Er ist ploetzlich auf uns zugekommen und hat ungefragt gesagt, er haette fuer die Tatzeit ein Alibi." Laut Michaels Angaben war er den gesamten Abend im Lokal. Nur kurz, fuer zehn Minuten, sei er auf der Toilette gewesen. Die beiden Freunde kombinieren, zeichnen wieder ein Zeit-Weg-Diagramm. Ihre Schlussfolgerung: "Die Heindl-Muehle ist nur knapp 100 Meter von dem Lokal entfernt. Waere Michael durch den Hinterausgang gegangen, haette er nicht mehr als zehn Minuten gebraucht, um zur Muehle zu laufen, dort Feuer zu legen und wieder zurueckzukommen." - Der Peilsender. Akribisch halten die beiden Feuerwehrmaenner auch das Verhalten von Michael B. am Brandort fest. "Es war unglaublich. Er hatte nicht einmal die Grundausbildung und turnte allein auf der Feuerleiter herum. Er war immer mitten im Brandherd, selbst wenn es noch so gefaehrlich war. Einmal loeschte er noch, obwohl alle anderen sich bereits in Sicherheit gebracht hatten." Keine Minute wird Michael B. nunmehr an den Brandorten aus den Augen gelassen. Moeglicherweise duerfte die Beschattung dem 16-Jaehrigen nicht entgangen sein. Einer der Privatermittler: "Nach einem Brand mussten wir die Spuren sichern, da praesentierte uns Michael ploetzlich ein zusammengeknuelltes Zigarettenpackerl. Wir fragten uns alle, wie er das unbeschadet aus der Flammenhoelle bergen konnte." Polizei reagiert nicht. Am 22. Dezember uebergeben die beiden Freunde ihr Taeterprofil und ihre Anhaltspunkte den Ermittlern. "Ueber zwei Stunden sind sie mit uns beisammengesessen, aber dann sind sie gegangen, ohne etwas zu unternehmen." Ein Irrtum. Denn nur wenige Tage spaeter entdeckt einer der beiden Freunde einen Peilsender unter seinem Auto: Die Ermittler hatten die Hinweisgeber ins Fadenkreuz genommen. Der Ordnung halber wird Michael B. von zwei Beamten einvernommen - und nach zwei Stunden wieder laufen gelassen. Der Feuerteufel kann somit weiter zuendeln. Am 6. Jaenner brennt die Holzhuette beim ehemaligen "Stolzhaus". Zwei Streifenbeamte der Gendarmerie sind zufaellig vor Ort und beginnen mit den Loescharbeiten. Diesmal werden aus taktischen Gruenden nur ausgewaehlte Feuerwehrmaenner per Handy zum Brand gerufen. Ohne Blaulicht und Sirene fahren sie zur Holzhuette. Eine Finte der Ermittler: Michael B. wird nicht alarmiert, und ist trotzdem als einer der Ersten am Tatort. Diesmal sind sich die Ermittler sicher, den Brandstifter nur um wenige Minuten verpasst zu haben. Eine Grossfahndung wird eingeleitet - saemtliche Strassen der Ortschaft gesperrt, jedes verdaechtige Fahrzeug akribisch kontrolliert. Moegliche Tatverdaechtige von der Polizei einvernommen. Nur Michael B. wird nicht gefragt, warum er denn so frueh am Brandort war. Wieder uebernehmen die Privatermittler die Aufgaben der Polizei: "Ich habe Michael auf die Seite genommen und ihn gefragt, woher er wusste, dass es bei dem Stolzhaus gebrannt habe." Die entwaffnende Antwort des 16-jaehrigen Elektrolehrlings: "Ich bin gerade zufaellig an dem Haus vorbeigekommen, als ich das Feuer sah …" Wolfgang Ainetter, Atha Athanasiadis, Andreas Kuba